Mr. Nobody (2009)

Originaltitel

Land/Jahr

Genre

Laufzeit

 

Regie

Drehbuch

Darsteller

Mr. Nobody

Belgien, Frankreich, Kanada; 2009

Fantasy, Drama, Romantik

150 min

 

Jaco Van Dormael

Jaco Van Dormael

Jared Leto, Diane Kruger, Sarah Polley, Rhys Ifans, Juno Temple, Daniel Mays, Natasha Little, Chiara Caselli

 


Der Belgier Jaco Van Dormael hat in 18 Jahren gerade mal 3 Filme gemacht und unterbietet damit sogar noch Wenigfilmer Terrence Malick. Sein Bekanntheitsgrad hält sich demzufolge in Grenzen – zu Unrecht, wie er mit seinem dritten Film "Mr. Nobody" endgültig beweist.

 

"Mr. Nobody" ist ein Film voll von philosophischen Theorien, wunderschön gefilmten Bildern und guten Schauspielern. Wie aber soll man seine Geschichte zusammenfassen, ohne zu viel zu verraten - denn der Film ist gespickt mit unzähligen Story-Verzweigungen, die verwirrend zu sein scheinen und deren Zusammenhang erst ganz am Ende gelüftet wird. Aus diesem Grund versuche ich an dieser Stelle so wenig wie möglich preis zu geben. 

Wir schreiben das Jahr 2092. Die Menschheit ist dank wissenschaftlichem Fortschritt unsterblich geworden. Es gibt nur noch einen letzten Sterblichen, den 118 Jahre alten Nemo, der im Krankenhaus auf seinen Tod wartet. Die Presse interessiert sich für seine Vergangenheit und sein Wissen, wie die Welt früher war. Doch die Erinnerung des Patienten scheint verwirrt und er erinnert sich nicht einmal mehr an seinen Namen – weshalb er einfach Mr. Nobody genannt wird.

Allerdings gelingt es einem jungen Reporter sich ins Krankenzimmer Mr. Nobody’s zu schleichen um ein Interview mit ihm zu führen.

Nemo beginnt widerwillig zu erzählen und Erinnerungen an seine Kindheit keimen auf; Erinnerungen an seine Eltern und die drei gleichaltrigen Mädchen aus seiner Nachbarschaft. Doch im Alter von neun Jahren wird er vor eine unmögliche Entscheidung gestellt. Und von dem Punkt seiner Geschichte an beginnt sich Mr. Nobody zu widersprechen und verschiedene Handlungsstränge laufen plötzlich gleichzeitig. Jede Entscheidung führt zur nächsten und jede beeinflusst Nemo’s leben unterschiedlich. Doch welches ist nun die richtige Entscheidung? Und welche ist seine tatsächliche Lebensgeschichte?

 

Bereits in seinem 1984 entstandenen Kurzfilm "È pericoloso sporgersi" beschäftigte sich Jaco Van Dormael mit der Thematik der Entscheidungen.

Er ging dem Gedanken nach wie jede getroffene Entscheidung wieder dutzende andere Entscheidungen mit sich bringt - unzählige verschiedene Möglichkeiten wie wir unser Leben beschreiten - und wie es dadurch beinahe unmöglich ist, uns für etwas zu entscheiden, weil wir nicht wissen, welche Möglichkeit die richtige ist.

Im Jahre 2001 griff der Regisseur diese Idee wieder auf, mit dem Vorhaben einen Langfilm daraus zu machen.

Weil damals aber mit "Lola Rennt" und "Sliding Doors" gleich zwei Filme mit ähnlicher Thematik in die Kinos kamen, ließ er das Projekt wieder fallen. Erst 2007 fasste er sich noch einmal ein Herz und begann mit der Vorproduktion zu "Mr. Nobody". Danach dauerte es zwei weitere Jahre bis das Projekt vollendet war.

 

Dem fertigen Werk ist die lange Reifungszeit anzusehen. Jede Szene, ja jede einzelne Einstellung, scheint genau durchdacht und perfektioniert.

Daneben ist der Film gespickt mit Anspielungen auf andere Werke der Filmgeschichte. Zum Beispiel Verweise auf "Harold and Maude", "2001: A Space Odyssey" und "A Woman Under the Influence" um nur einige zu nennen. Dabei sind die Szenen aber niemals billige Plagiate sondern liebevolle Hommagen an die Vorlagen.

Aber auch auf alle anderen Details hat Van Dormael genau geachtet. So unterscheidet sich die farbliche Gestaltung, je nachdem welchen Weg Nemo einschlägt. Hinweise darauf findet man schon zu Beginn des Filmes.

Als Nemo beispielsweise an der Parkbank mit den drei Mädchen vorübergeht (seine möglichen Ehefrauen, je nachdem wie er sich entscheidet), trägt jedes ein andersfarbiges Kleid. Die jeweilige Farbe symbolisiert auch die Leben welche Nemo mit jeder von ihnen führen würde. Jeanne trägt ein gelbes Kleid und die Farbe symbolisiert den Reichtum, der für diesen Weg steht. Elise trägt das blaue Kleid und daher ist auch das mögliche Leben mit ihr in tristen Blautönen gehalten. Annas rotes Kleid schlussendlich ist Zeichen für die leidenschaftliche Liebe, welche die beiden teilen würden.

Ein anderer Hinweis auf die Wichtigkeit der Farben findet sich in der Szene vor Nemo’s Geburt. In diesem vorexistenziellen Reich dominiert das Weiß – also das Vorhandensein aller Lichtfarben. Dies zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt, bevor irgendwelche Entscheidungen gefallen sind, noch alles möglich ist.

Der ganze Film ist zudem mit einem wunderbaren Soundtrack unterlegt, der Stücke von Buddy Holly, The Pixies und Hans Zimmer beinhaltet und gleich mit 5 verschiedenen Versionen des Songs "Mr. Sandman" aufwartet.

 

Herausheben muss man aber auch die Leistung der Schauspieler, allen voran die Jared Leto’s. Als 118 Jahre alter Nemo kann er trotz dem ganzen Make-up (welches allerdings auch zu loben ist) seiner Figur Menschlichkeit einhauchen und überzeugt perfekt. Genauso gelungen ist aber die Leistung der Jungdarsteller.

Für die Visual Effects wurde übrigens Louis Morin an Bord geholt, der vor allem für seine Arbeit in Michel Gondry’s „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ bekannt ist. Er zaubert auch hier wieder perfekte Effekte auf die Leinwand und lässt die traumhaften Ideen Wirklichkeit werden.

Die traumähnlichen Momente ziehen sich ohnehin durch den gesamten Film und scheinen daher prägend für den Namen der Hauptfigur gewesen zu sein. So erinnert er nicht von ungefähr an das Comicbuch "Little Nemo in Slumberland" wo ein kleiner Junge unerhörte Abenteuer in einem Traumland erlebt.

Die ursprüngliche Bedeutung des Namens ist aber genauso bezeichnend. "Nemo" ist nämlich lateinisch für "niemand" oder auf Englisch "nobody".

 

Warum hat man also so wenig von diesem Film gehört? Hier muss bei der Promotion doch etwas grausam schief gelaufen sein.

Verwunderlich ist auch, dass das Filmfestival von Cannes den Film nicht in den offiziellen Wettbewerb 2009 aufnehmen wollte. Aus diesem Grund brachten ihn die Produzenten für die Premiere nach Venedig, wo er vom Publikum sehr gut aufgenommen wurde.

Beim Kinostart haben aber offensichtlich die Werbeverantwortlichen geschlafen. Der Film floppte in Frankreich, wurde nur kurz in Deutschland in wenigen Kinos gezeigt und in der Schweiz komplett ignoriert.

Bei geschätzten 47 Millionen US-Dollar Budget spielte er weltweit gerade mal 3.6 Millionen wieder ein und war damit ein finanzielles Debakel. Wenn man nun die im Jahr 2011 veröffentlichte DVD schaut, kann man sich dies kaum vorstellen. Wie kann ein solches Werk in solchen Maßen ignoriert worden sein? Die Frage bleibt unbeantwortet. Doch was man hoffen kann ist, dass der Film wenigstens auf DVD und Blu-ray seinen verdienten Platz in der Filmgeschichte erhält.

 

Fazit:

"Mr. Nobody" ist eine Liebeserklärung an das Leben und einer der besten Filme des 21. Jahrhunderts. Die philosophischen Ideen wurden mit solch visueller Kraft umgesetzt, dass man die gesamte Laufzeit von 150 Minuten gebannt auf den Bildschirm schaut. Es ist auch einer jener Filme, bei denen keine Szene überflüssig ist. Jedes auch noch so kleine Detail spielt für das Gesamtbild eine Rolle. Infolgedessen kann ich sagen, dass die Entscheidung, sich "Mr. Nobody" anzuschauen, sicher nicht bereut werden wird und kann den Film jedem Filmliebhaber ans Herz legen.

 

Veröffentlichung:

Ich habe die deutsche DVD-Fassung von Euro Video vorliegen, bei der 2 DVDs enthalten sind. Auf Disc eins ist die Kinofassung und auf der zweiten der Director’s Cut von Jaco Van Dormael. Dabei ist der Director’s Cut eher zu empfehlen denn seine zusätzlichen 16 Minuten sind nur schon aufgrund ihrer visuellen Kraft ein Muss.

Das Bild ist sauber und scharf und kann locker mit der Blu-ray konkurrieren.

Als Bonus gibt es das Making-of, den "Blick hinter die Kulissen" und entfallene Szenen. Die DVD hat ein Wendecover, ohne FSK-Logo. Als Sammler könnte man sich höchstens eine etwas schönere Cover-Gestaltung wünschen. Ansonsten eine perfekte Veröffentlichung.

 

Bewertung: 10/10

Autor | Yves Albrecht

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Kommentare: 1
  • #1

    slash (Montag, 25 Februar 2013 16:43)

    Vielen Dank für diese ausführliche Besprechung des Films. Absolut unverständlich, dass dieses moderne Meisterwerk so von der Öffentlichkeit unbeachtet bleibt.
    Ich habe den Film auch nur durch Zufall entdeckt.

    Mein Fazit: ein absoluter Geheimtipp!! Für solche Filme wurde die Kamera erfunden. Wer unterhaltsame Filme, die das Auge verwöhnen und zum Nachdenken anregen mag, Kaufbefehl!

Bewertungsmaßstab

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