Die Reise ins Glück (2004)

Originaltitel

Land/Jahr

Genre

Laufzeit

 

Regie

Drehbuch

Darsteller

Die Reise ins Glück

Deutschland; 2004

Fantasy, Komödie

73 min


Wenzel Storch

Wenzel Storch, Matthias Hänisch, Iko Schütte

Jürgen Höhne, Jasmin Harnau, Holger Müller, Jörg Buttgereit, Jeanette Eisebitt  


Wenzel Storch ist alles andere als ein gewöhnlicher Filmemacher. Seine Werke sind mehr kunstvolles Experiment als einfach nur Spielfilm. Mit Laiendarstellern, bunt, überdreht, provokativ und immer am Rande des Wahnsinns und des guten Geschmacks - so kommen seine Projekte daher. Dies (sein dritter Film) ist sein bisher aufwendigstes Werk und es haben sich auch einige bekannte Namen in den Cast geschlichen.

Als Knuffi als Kind in einen gefrorenen See einbricht, wird er vom gleichaltrigen Gustav gerettet. Diese gute Tat hat schwerwiegende Folgen, denn ab sofort sind die beiden unzertrennlich und wachsen zusammen auf. Als eines Tages Evchen (Jasmin Harnau) bei den beiden zur Untermiete einzieht, verlieben sich beide Hals über Kopf in die junge Frau. Um dem unliebsamen Knuffi zu entkommen, machen sich Gustav (Jürgen Höhne) und Evchen eines Nachts auf und davon und bereisen mit ihrem Schneckenschiff die Ozeane. Bald kommt immer mehr Besatzung dazu, denn neben dem ersten Offizier (einem Bären) und einem Stamm Eingeborenen schenkt Evchen dem Kapitän Gustav eine ganze Kinderschar.

Als sie eines Tages auf einer unbekannten Insel den Anker werfen, müssen sie schreckliches feststellen. Dort ist nämlich der einstige Konkurrent Knuffi (Holger Müller) zum König aufgestiegen und terrorisiert mit seinen, von starkem Harndrang geplagten Propagandaministern, das ganze Eiland.

 

Liest man die abstruse Zusammenfassung durch, erahnt man nicht einmal die Hälfte des Wahnsinns dieses surrealen Werkes. „Die Reise ins Glück“ bewegt sich ganz klar im Bereich des Amateurfilms, aber man hat bestimmt noch nie einen Low-Budget Film gesehen, in dem so viel Liebe fürs Detail und gleichzeitig genauso viel Irrsinn steckt.

Wenn man sich mit der Produktionsgeschichte beschäftigt, dämmert es einem aber langsam. Wenzel Storch ("Der Glanz dieser Tage"; 1989) mietete eine Lagerhalle - groß, baufällig, schlecht isoliert und ungesichert - und füllte diese in vier Jahren mit Schrott. Zu diesem Zweck durchwühlte er Müllhalden, kaufte alte Motorenteile, klaute Tücher aus Müllcontainer, und sogar der Krankenhausabfall wurde nicht ausgelassen. Mit all dem Material ließ er einen Bekannten eine Weile werkeln, mit der Anweisung: Er solle daraus irgendetwas bauen, das wie ein Maschinenraum eines Schiffes aussehe. Neben dem Schiff wurden auch die restlichen Sets in dieser Halle aufgebaut. Mit viel Kreativität entstanden unter anderem der Thron- und Ballsaal des Königs. Diese bestehen aus alten Tüchern, dekoriert mit goldig bemalten Teppichklopfern und Sprungfedern. Weil in dem engen Raum kein Platz für Scheinwerfer war, wurden unzählige Glühbirnen in das Setting miteingebaut – für jeden Brandschutzbeauftragten ein Albtraum – doch zum Glück kam nie einer vorbei.

 

Dann ging es um die Wahl der Schauspieler. Für die Hauptrolle des Gustav wurde Jürgen Höhne besetzt, der Stamm-Laiendarsteller des Regisseurs. Auch die anderen Darsteller waren keine Profis. Der erste Offizier ist dagegen ein echter Bär (der von Harry Rowohlt gesprochen wird) und die Eingeborenen, die als Besatzung auf dem Schiff mitfahren, sind weiße Schauspieler, deren Haut schwarz bemalt wurde, die Lippen rot geschminkt. Das Lied "Tellerlip Girl", das diese spielen, wurde dann sogar von Max Raabe gesungen (sonst bekannt für Lieder wie "Kein Schwein ruft mich an" oder "Küssen kann man nicht alleine"). Und auch der deutsche Undergroundregisseur Jörg Buttgereit ("Nekromantik", 1987) hat einen kleinen Auftritt im Film.

 

Die eigentlich simple Geschichte wird durch all diese Elemente und den sonderbaren Erzählstil, bald einmal recht abstrus. Die Bilderflut mit ihren Details, und die komischen Figuren lenken den Zuschauer ab und man kapiert bald nicht mehr was da eigentlich vor sich geht.

Wenzel Storch schlägt auch recht provokante Wege ein und bewegt sich ganz am Rande des guten Geschmacks.

Wer ernsthaftes Kino erwartet ist eindeutig fehl am Platz und auch der gebildete Kunstliebhaber wird vermutlich angewidert abschalten.

Doch trotz allem Abstrusen und Zotigen hat der Film einen unglaublichen Charme. Man fühlt beim Betrachten den Wahnsinn und die Liebe, die in diesem Werk stecken. So hat es fast 10 Jahre gedauert, bis der Film endlich vollendet war und derart langes Durchhaltevermögen ist der Crew hoch anzurechnen. Nur schon deshalb und aufgrund seines Surrealismus, sollte man dem Film eine Chance geben.

 

Fazit:

"Die Reise ins Glück" ist Kinowahnsinn par excellence. So einen verrückten, bunten, zotigen und gleichzeitig liebevollen Film hat vermutlich noch keiner vorher gemacht. Alles darin ist so abstrus und am Rande des guten Geschmacks, dass jeder beim ersten Mal Schauen kopfschüttelnd abschalten möchte. Wenn man aber eine Weile darüber nachdenkt, dann beginnt man plötzlich über diese merkwürdigen Ideen zu lachen und wer dem Film eine zweite Chance gibt (vor allem mit dem Wissen wie viel Arbeit darin steckt) entdeckt vielleicht plötzlich, dass dieses Werk nicht nur ein Amateur-Schmutzfilm ist, sondern ein Kunstwerk, das nicht von dieser Welt zu kommen scheint.

 

Veröffentlichung:

Das Label "Cinema Surreal" hat sich dem Film angenommen und ihn in einem wunderschönen Digipack als 2-DVD Edition veröffentlicht. Das Making-Of ist dabei sehr zu empfehlen, denn darin wird die gesamte Produktionsgeschichte erzählt und man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Eine Veröffentlichung, die uneingeschränkt empfohlen werden kann.


Bewertung: 7/10

Autor | Yves Albrecht

Besucherwertung

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Bewertungsmaßstab

10 = Sensationell!
9 = Genial
8 = Super!

7 = Sehr Gut
6 =  Gut
5 = Genügend (durchschnitt)
4 = Schwach
3 = Sehr Schwach
2 = Nervt
1 = Totale Sch...

Loading